Oratorio di Santa Orsola

Carlo Agostino Badia (1671/72-1738)

Wien 1694 | Basel 2021

Erste Aufführung in neuer Zeit.


Flavio Ferri-Benedetti

Jessica Jans

Alice Borciani

Lisandro Abadie

Jan Börner

ensemble ad·petram

Violino

Viola

Violone

Tiorba

Arpa

Cembalo

Orgel

Il Testo

Santa Orsola

Giulio

Satanasso

Asmodeo

Katharina Heutjer, Plamena Nikitassova

Joanna Michalak Bilger

Matthias Müller

Julian Behr

Luise Enzian

Eugène Michelangeli

Christoph Anzböck


Eine musikalische Entdeckung

Das Oratorium als musikalische Gattung verbreitete sich von Italien aus quer durch Europa und wurde zunächst vor allem in den anderen katholischen Ländern rezipiert, allen voran in Wien, das stark von der italienischen Kultur durchdrungen war. Vermutlich fand das Oratorium in Wien sogar früher als in Italien Verbreitung, ungefähr zur gleichen Zeit wie in Florenz und möglicherweise Sizilien, noch bevor es nach Bologna, Modena, Mantua oder Venedig kam. Anfang der 60er Jahre des 17. Jahrhunderts stellte das Oratorium einen wichtigen Teil des religiösen und musikalischen Lebens der Habsburger Familie dar.

Ursprünglich nur im Advent aufgeführt, erklangen nach wenigen Jahrzehnten auch in der Fastenzeit sowie an speziellen Feiertagen jährlich neu komponierte Oratorien. Dabei war die Patronage Kaiser Leopolds I. für die Entwicklung des Genres im Wiener Raum von entscheidender Bedeutung. Eine spezielle Gattung des Oratoriums, die sogenannten sepolcri, szenisch aufgeführte Oratorien in der Karwoche, waren überhaupt ein größtenteils auf Wien beschränktes Phänomen, möglich gemacht durch das Interesse und Wohlwollen Leopolds I.

Das Kloster der Ursulinen in Wien

Das Kloster der Ursulinen in Wien

Eines der vielen kleineren musikalischen Zentren der Stadt stellte auch das Kloster der Ursulinen dar. Diese wurden 1660 von Kaiserin Eleonore nach Wien gerufen und übernahmen rasch wichtige Aufgaben im Unterricht und der Erziehung der weiblichen Jugend. Wesentliches Mittel dieser Erziehung war ein starkes Interesse für Musik. Zahlreich sind die Namen von Ursulinen, die als Komponistinnen, Chordirigentinnen und Sängerinnen in zeitgenössischen Quellen dokumentiert sind. Durch die Nähe zum musikbegeisterten Hof der Habsburger mit seiner hervorragenden, international ausgerichteten Hofkapelle hatten die Klosterfrauen ein unmittelbares Vorbild hochqualitativer Musik vor Augen, an dem sie auch ihre eigene Musikpraxis ausrichteten.

Die Ursulinen pflegten vor allem eine produktive Zusammenarbeit mit dem kaiserlichen Hof-Compositeur Carlo Agostino Badia, welcher geradezu als ihr "Hauskomponist" fungierte und in Ausnahmefällen auch als Organist für sie tätig war. Fast alle seine geistlichen Werke – mit einigen Ausnahmen – wurden für die Ursulinen komponiert und auch dort aufgeführt. Es wurden durchschnittlich zwei Oratorien pro Jahr vertont, eines für die Fastenzeit bzw. die Karwoche und ein anderes für den Namenstag der Heiligen Ursula.

Das Oratorio di Santa Orsola ist das vierte Oratorium Carlo Agostino Badias und das erste, das er für Wien komponierte. Es wurde am 21. Oktober 1694 im Kloster der Ursulinen, vermutlich von den Klosterfrauen selbst zusammen mit talentierten Schülerinnen, aufgeführt. Neben drei Sopran- und zwei Alt-Solistinnen gibt es auch eine Bassrolle. Das Thema der Bassistinnen, also Frauen, die eine männliche Gesangs-Stimmlage besitzen, in der Aufführung männlicher Rollen ist ein gleichermaßen kurioses wie interessantes. Gerade in Frauenklöstern, in der die Anwesenheit von Männern nur selten, wenn überhaupt, erlaubt war, besitzt dieses Thema jedoch große Relevanz. Gerade weil Frauen mit einer Tenor- oder Bassstimme selten sind, waren diese in Klöstern äußerst gefragt. Wir wissen zum Beispiel von Maria Anna Nepomucena, die im Ursulinenkloster in Wien wohnte und "eine unvergleichlich schöne Bass Stimm wegen welcher sie aufgenohmen worden" hatte, oder weiters eine Novizenmeisterin, die sang "tief, wie ein alter Violon". Die Bassistinnen waren in Wien hochgeschätzt und wenngleich selten, so doch eine belegbare Realität. Es ist daher nicht undenkbar, dass auch die einzige Bassrolle im Oratorio di Santa Orsola von einer Bassistin übernommen wurde.

Detail des Gemäldes “Martirio di Sant’Orsola” von Caravaggio

Detail des Gemäldes “Martirio di Sant’Orsola” von Caravaggio

Das Oratorio di Santa Orsola stellt kein typisches Oratorium dar, es ist lediglich einteilig und hat eine erweiterte Besetzung. Neben dem fünfstimmigen Streicherkern erklingen auch Viola da Gamba und Fagott als Soloinstrumente. Die Struktur des Oratoriums ist sehr linear, Rezitative und Arien alternieren und sind von Ritornellen gestaffelt. Die Arien sind imitatorisch und das thematische Material tritt mehrmals auf. Badia setzt bei mäßiger allgemeiner harmonischer Spannung immer wieder Akzente auf besonders expressive Wörter oder Situationen und zeigt schon in diesem Werk eine gewisse Neigung zur Dramatisierung, wie zum Beispiel in der Todesszene der Orsola. Generell ist auch das Libretto bemerkenswert, das etwa bei einer ausgedehnten Konversationszene verschiedener Dämonen oder einem überlangen, unerwiderten Liebesduett des Hunnenherrschers Giulio und der Orsola durchaus komische Elemente enthält und eine nahezu ironische Form annimmt.

Durch eine wissenschaftliche Arbeit über dieses Werk und eine für diese Aufführung entstandene neue Edition des Oratoriums ist nun eine musikalische Wiederentdeckung möglich, die einen ersten Schritt darstellen soll, um neben dem vielseitigen Genre des Oratoriums und der fruchtbaren Musikkultur in klösterlichem Kontext auch den Komponisten Carlo Agostino Badia neu etwas mehr in den Blickwinkel der musikalischen Aufmerksamkeit zu rücken.

Biographisches zu Carlo Agostino Badia

"Badia (Carlo Agostino) ein kayserlicher Componist, hat unter dem Titul: Tributi Armonici zwölf Cantaten à Voce sola e Cembalo, in sehr saubern Kupfferstich publiciret, und sie dem Römischen Kayser, Leopoldo I. zugeschrieben. Dieseß mag wohl zu Anfang des jetzigen Seculi geschehen seyn. Er ist An 1727 noch am Leben gewesen."

So schreibt Johann Gottfried Walther im Jahr 1732 in seinem Musicalischen Lexicon über den Hofkomponisten Carlo Agostino Badia. Es handelt sich dabei um den ersten biografischen Bericht zu seiner Person. Im Lauf der Jahrhunderte konnte zwar mehr über ihn, sein Leben und seine Werke in Erfahrung gebracht werden, seine musikalische Erziehung bleibt aber trotzdem in Nebel gehüllt.

Carlo Agostino Badia wurde im Jahr 1671 oder 1672 in Verona geboren. Über seine musikalische Ausbildung und die ersten zwanzig Jahre seines Lebens ist noch nichts bekannt. Im Jahr 1691 dürfte Badia am Innsbrucker Hof gewesen sein, wo er sein erstes bekanntes Werk komponierte, ein Sepolcro mit dem Titel La sete di Cristo in croce. Im folgenden Jahr lebte Badia vermutlich in Rom, der Stadt, in der sein erstes weltliches Werk zur Aufführung kam: La ninfa Apollo. Im Frühjahr 1692 befand Badia sich wieder am Hof in Innsbruck, wo er zwei Opern komponierte und im darauffolgenden Jahr auch zwei Sepolcri für die Karwoche lieferte.

Durch die Unterstützung von Eleonore Maria, der Gattin des kaiserlichen Statthalters in Tirol und Stiefschwester des Kaisers wurde Badia trotz seiner Jugend von Leopold I. 1694 als Musik-Compositeur eingestellt. In diesem Jahr kam auch das Oratorio di Santa Orsola in Wien zur Aufführung. Diese Stelle existierte zuvor nicht am Hof und wurde für Badia neu geschaffen. Ihm folgten in dieser Position zahlreiche renommierte Musiker wie etwa Johann Joseph Fux, Giovanni Bononcini, Pier Francesco Tosi, Francesco Conti oder auch Georg Christoph Wagenseil.

Da Leopold I. von seinem Hofkomponisten sehr beeindruckt war, wünschte er sich, dass Badia seine Fähigkeiten in Rom weiter perfektionieren sollte. 1695 zog Badia also erneut nach Süden, kehrte aber vorzeitig schon am Ende desselben Jahres, vermutlich aus finanziellen Gründen, wieder nach Wien zurück. Bis 1697 komponierte er nur Oratorien. Seine erste Oper für den habsburgischen Hof, Bacco, vincitor dell'India wurde während des Faschings 1697 aufgeführt. Ab diesem Jahr bis 1707 finden sich jährlich drei bis vier große Kompositionen von ihm. Der Hof war mit seinen Leistungen sehr zufrieden, der Kapellmeister Antonio Pancotti sagte über ihn, er sei "von gar guttn Tallento vnd Vngemeiner prontezza".

Am 18. Oktober 1700 heiratete Badia Anna Maria Elisabetta "Lisi" Nonetti (ca. 1680-1726), die ab 1. Juli 1700 nach Wien eingeladen und an der Wiener Hofkapelle als zweite Sängerin verpflichtet wurde. Es ist bekannt, dass Badia seine Frau 1706 nach Venedig begleitete, wo sie zwei Opern von Carlo Francesco Pollarolo im Theater S. Giovanni Crisostomo sang.

Neben seiner Tätigkeit für den Hof und das Ursulinenkloster, verbreiteten sich Badias Werke auch in Norditalien und Deutschland, so zum Beispiel die groß angelegte Kantate La Pace, e Marte supplicanti avanti al Trono della Gloria, die in Wien am 19. März 1701 aufgeführt und am 6. Juni 1709 in Dresden während des Besuchs des Königs von Dänemark wieder aufgeführt wurde. Die Kantate gefiel dem König so sehr, dass er sich eine Oper wünschte, Gli amori di Circe con Ulisse, die im selben Jahr, am 20. Juni, wieder in Dresden, uraufgeführt wurde.

Während seiner 17-jährigen Tätigkeit für den Wiener Hof unter Leopold I. und Joseph I. komponierte Badia mindestens 34 Oratorien, 20 große weltliche Werke, zahlreiche Kammerkantaten und Duette. Karl VI., 1710 zum Regenten erhoben, erneuerte ab 1. Oktober 1711 die Verträge von Badia und seiner Frau, die am 7. Januar 1726 verstarb. Spätestens 1729 schloss Badia eine zweite Ehe mit Anna Maria Sophia Novelli, der Nichte seiner ersten Frau, die schon im Testament ihrer Tante erwähnt wurde, welche ihr eine relevante Geldsumme zukommen ließ.

Badias Kreativität schwand unter Joseph I., der ohnehin die Brüder Bononcini und Marc' Antonio Ziani bevorzugte. Nichtsdestotrotz half er ihm mehrmals mit außerordentlichen Geldzuwendungen, die Badia vor finanziellen Problemen bewahrten. Als eine Generation von namhaften italienischen Komponisten nach Wien kam, um für den Kaiser und sein immer einflussreicheres Reich zu arbeiten, gelang es Badia die Kantate zu einem populären Genre zu machen und er spielte eine wichtige Rolle bei deren Entwicklung in den letzten Jahren der Regentschaft von Leopold I. und der kurzen von Joseph I. - In weniger als fünfzehn Jahren, ungefähr zwischen 1699 und 1712, komponierte er nicht weniger als 53 Kammerkantaten und zwei groß angelegte Kantaten.

In seinen letzten Lebensjahren stand er in engem Kontakt mit Georg Joseph Donberger (1709-1768), einem Schüler Caldaras und späteren Regens chori des Chorherrenstiftes Herzogenburg. Carlo Agostino Badia starb mit 66 Jahren am 23. September 1738. Im Protocollum mortuorum der Dompfarre St. Stephan liest man: "Der Herr Carl Badia, Kaysl: Hof: und Cammer Music: Compositor ist in Götzich Haus in Judengässel an Hectia beschaut worden alt 66 Jahre, zum Schwarzen Spaniern".

(vgl. Marco Primultini, Carlo Agostino Badias Oratorium Sant’Orsola vergine e martire, Edition und Kommentar, Masterarbeit (unpubliziert), Wien 2019)

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